Jedes dritte Kind leidet unter Stress. Leistungsdruck, Angst, Blockaden aber auch das Streben nach sozialer Anerkennung können auslösende Faktoren sein. Nicht selten verstärken sich anfängliche Belastungen zu einem Burnout. Die Erwartung der Erwachsenenwelt, dass Kinder und Jugendliche emotionale Veränderungen durch verbale Erklärungen durchführen können, läuft zumeist ins Leere. Gefühle sind nun mal nicht rational steuerbar.
Im Kinder- und Jugendcoaching, beim Lerncoaching oder in der Zusammenarbeit mit Eltern – wir alle haben unsere kleinen und großen Päckchen zu tragen. Wie wäre es, wenn du in Zukunft selbst entscheiden könntest, ob eine bereits vergangene Erfahrung dich auch heute und in Zukunft noch nachhaltig negativ beeinflusst, dir vielleicht sogar deine Handlungsspielräume einschränkt? Und welche Möglichkeiten haben du und dein Kind ganz konkret, um selbst und aus eigener Kraft Blockaden und negative Emotionen aufzulösen und damit verbundene körperliche Beschwerden endgültig zu überwinden? In diesem Beitrag stelle ich dir zwei bahnbrechende Methoden vor – EMDR und EFT – und versuche, für dich herauszuarbeiten, welche die bessere Methode ist, um dir und deinem Kind Unterstützung bei der Überwindung alltäglicher Herausforderungen in eurem Familienalltag zu bieten.
Was ist EMDR?
EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing, was auf Deutsch Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung bedeutet. Dabei handelt es sich um eine der besterforschtesten und wirksamsten Methoden zur Behandlung traumatisierter Menschen.
Wenn ein Mensch ein Trauma erlebt, dann kann es in der Folge zum sogenannten „sprachlosen Entsetzen“ und auch oft zu körperlichen „Erstarrungsmustern“ kommen. In der rechten Gehirnhälfte entstehen wahre „Bilderfluten“, die dieser Mensch vor seinem inneren Auge hat. Gleichzeitig ist sein Sprachzentrum „sprachlos“. Dieser „sprachlose“ Zustand erschwert die Verarbeitung des Erlebten erheblich.
Doch was genau bedeutet das für dich oder dein Kind? Wie kann eine Traumatherapiemethode helfen, wenn es im Familienalltag knatscht oder das Lernen nicht mehr gut gelingen mag?
Wie ich es Kindern erkläre…
Jedem Menschen widerfahren tagtäglich mal mehr und mal weniger viele Erfahrungen. Am Abend legen wir uns schlafen – und im Schlaf verarbeiten wir die Erfahrungen des vergangenen Tages. Kindern erkläre ich es an dieser Stelle gern wie folgt: in deinem Gehirn gibt es viele, viele kleine Zimmerchen – grad so wie in einem Hotel. Jedes Zimmer ist für ganz unterschiedliche Themen und Lebensbereiche zuständig. Da gibt es eines für Mathe, eines für Englisch, eines für Zimmer aufräumen, eines für den Weg zur Schule oder auch für´s Reiten usw. Wenn du nachts schlafen gehst, dann kommt – wie im Hotel – eine Putzkolonne und räumt in jedem deiner vielen Gehirnzimmerchen für dich auf. Du verarbeitest alles das, was du an diesem Tag erlebt hast – die guten wie auch die nicht so guten Erfahrungen. Nehmen wir mal an, in Englisch hat dir die Frau Wagner nun schon zum 5. Mal an der Tafel eine schlechte Note gegeben und heute, als dir die Übersetzung zu der erfragten Vokabel nicht einfiel, da hat auch noch deine beste Freundin gelacht. Du warst darüber so traurig – nicht so sehr über die eine 5 mehr in Englisch, sondern noch viel mehr darüber, dass deine beste Freundin gelacht hat über dich.
In der Nacht kommt nun die Putzkollone und die hat so viel zu tun; als sie in das Englischzimmer kommt und den Schmerz sieht, den dir Englisch heute bereitet hat, da beginnt sie kurz das Zimmer sauber zu machen – aber weil sie so viel zu tun hat und noch so viele Zimmer sauber zu machen sind, da lässt sie diese Erfahrung aus der Englischstunde bei Frau Wagner unaufgeräumt im Zimmer stehen. Drum herum wischt sie ein bisschen Staub und feudelt auch einmal drüber, aber so richtig sauber macht sie das Englischzimmer nicht.
Anfänglich bleibt nur diese eine Erfahrung im Englischzimmer unaufgeräumt; doch nach und nach kommen immer weitere dazu: die Klausur, die wieder in die Hose gegangen ist, die beste Freundin, die plötzlich bessere Noten in Englisch schreibt und sich immer noch nicht entschuldigt hat, dafür, dass sie neulich gelacht hat usw. Und irgendwann ist der Stapel an nicht aufgeräumten Erlebnissen im Englischzimmer deines Gehirn so groß und der ganze Raum versinkt so sehr im Chaos, dass die Putzkolonne ein Schild an die Tür hängt „Bitte nicht betreten!“ – hier wird nun nicht mehr aufgeräumt oder sauber gemacht. Die Putzkolonne geht am Englischzimmer vorbei, ohne überhaupt einmal reinzuschauen.
Wenn du morgens aufstehst und an Englisch denkst, dann sind das keine guten Gefühle, die dir da kommen. Du siehst Frau Wagner vor deinem inneren Auge und dir wird kotzeübel; beim Gedanken an die bevorstehende Englischklausur zieht die Panik dir dann auch gleich den Magen zu. An Vokabeln lernen ist im Guten gar nicht mehr zu denken – inzwischen hast du dich in die letzte Reihe gesetzt und betest die ganze Stunde hindurch, dass du bitte-bitte bloß nicht dran genommen wirst.
Das heißt nicht, dass du hinterher Frau Wagner zu deiner Lieblingslehrerin erklärst oder Englisch gleich dein Lieblingsfach wird – aber du hast nun endlich wieder eine Wahl, wie du dich fühlen möchtest, wenn du an Englisch denkst und du hast tatsächlich wieder gute Aussichten, auch im Englischunterricht positive, bestärkende Erfahrungen machen zu können.
EMDR wirkt also, wie das Defragmentieren der Festplatte in deinem Computer. Unnützer Ballast wird entsorgt, Erfahrungen werden aufgeräumt und in die dafür vorgesehenen Schubläden verstaut – im Englischzimmer deines Gehirns ist endlich wieder Platz und der Zugriff auf das bereits vorhandene Wissen ist ohne Umwege und uneingeschränkt möglich.
Was ist EFT?
Als Emotional Freedom Techniques, kurz EFT, wird die Klopftechnik bezeichnet, durch die emotionaler Stress und durch ihn verursachte körperliche Beschwerden gelindert werden können. Hierfür werden zum einen 15 Körperpunkte abgeklopft, um die den Stress verursachenden Blockaden zu lösen und das Nerven- sowie Energiesystem zu entspannen. Gleichzeitig spricht dein Kind oder du bestimmte Sätze, die die Emotion oder einen bestimmten Aspekt von ihr beschreiben. Erst durch diese Kombination entfaltet EFT seine kraftvolle Wirkung, werden negative Emotionen aufgelöst und machen Platz für ein Empfinden von Ruhe, Gelassenheit und innerem Frieden.
Wie ich es Kindern erkläre…
Hast du schon einmal im Garten gestanden und mit dem Schlauch die Beete gegossen? Dann hast du womöglich auch schon einmal erlebt, was passiert, wenn der Gartenschlauch irgendwo hängen bleibt und geknickt wird. Der Wasserfluß gerät ins Stocken bzw. es fließt gar kein Wasser mehr – und so lange der Gartenschlauch nicht wieder ent-knickt wird, solange bleibt auch das Gießen der Beete unterbrochen.
Am Kopf, deinem Oberkörper sowie deiner Hand befinden sich insgesamt 15 solcher „Wasserschläuche“ und manchmal ist an einem oder an mehreren dieser Schläuche der Energiefluss gestört, weil ein Knick im Schlauch ist. Da wir nicht wissen können, welcher der Schläuche eingeknickt ist oder wo genau der Knick sitzt, klopfen wir alle 15 Punkte ab – um ganz sicher zu gehen, dass die Energie auch wirklich durch alle „Wasserschläuche“ wieder ungestört fließen kann.
Was bedeutet das konkret?
Was du mit dieser Methode nicht wegklopfen kannst, sind Ärger oder schlechte Gefühle von vorgestern, letztem Jahr oder von übermorgen – es sei denn, du kannst den Ärger oder das schlechte Gefühl jetzt spüren, wenn du an die betreffende Situation denkst. Der Ärger, die Angst, die Demütigung – das negative Gefühl muss jetzt empfunden werden. In der konkreten Situation – dann – und nur dann – kann es auch aufgelöst werden.
Während des Klopfens wird im ersten Durchgang das negative Gefühl so konkret wie möglich benannt – und jede Wiederholung mit den Worten „…und trotzdem liebe und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.“ beendet.
„Auch, wenn ich Angst habe, mich im Englischunterricht zu melden, da sich meine beste Freundin Greta über mich lustig machen könnte, mag und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.“
Im zweiten Durchgang werden alle 15 Klopfpunkte erneut geklopft. Der Satz aus der ersten Runde kann nun jedoch angepasst werden – am Ende folgt auch hier wieder die positive Bestätigung „auch wenn … [Problem] – ich liebe und akzeptiere mich so, wie ich bin.“.
„Englisch ist ein Unterrichtsfach wie andere auch. Ich darf es sogar mögen. Und Greta findet es vielleicht sogar mutig, dass ich mich melde. Doch auch, wenn ich Sorge habe, dass sie lachen könnte, mag und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.“
Ein paar Beispiele aus dem familiären oder schulischen Kontext könnten sein:
- Auch, wenn ich traurig bin, dass mein Lehrer mich an der Tafel so gedemütigt hat, liebe und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.
- Auch wenn ich sauer bin, dass meine Eltern so streng mit mir sind und es mir nicht erlauben, allein mit dem Fahrrad nachts unterwegs zu sein, liebe und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.
- Auch wenn ich Riesenstress und Angst habe, dass ich mich in der Klausur nicht konzentrieren kann, mag und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.
- Auch wenn ich Angst habe, wieder eine schlechte Note zu schreiben, liebe und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.
- Auch wenn ich Angst habe und mich das wirklich fertig macht, dass mein Vater mich für eine schlechte Note wieder bestrafen und mit mir schimpfen, mich anschreien wird, liebe und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.
Sollte ein dritter Durchgang notwendig sein, nutze ich an dieser Stelle gern die psychologische Umkehr. Dazu drehe ich den Spieß einfach um und tue kurz mal so, als würde in diesem einen konkreten Fall mit EFT keine Lösung oder Besserung herbeiführbar sein. Der Satz, den ich formuliere fällt entsprechend aus: „auch wenn es mir nicht möglich ist, … [Problem] mit EFT aufzulösen, liebe und akzeptiere ich mich, so wie ich bin.“
SUD-Skala
Zur Bewertung der Intensität nutzen wir die sog. SUD-Skala. SUD bedeutet subjective units of disturbance und meine die persönlich gefühlte Belastung auf einer Skala von 0 bis 10. Diesen SUD frage ich zum ersten Mal ab, bevor wir überhaupt anfangen zu arbeiten und danach nach jeder Runde erneut. Sowohl im EMDR wie auch beim EFT ist das Ziel, den SUD immer auf Null zu bringen.
Aber was ist denn nun besser? EMDR oder EFT?
Vorteile des EMDR
- Nach einem erfolgreichen EMDR-Coaching erleben die meisten Coachees eine entlastende Veränderung ihrer Erinnerung. Die mit der Erinnerung verbundene körperliche Erregung ist erheblich reduziert und negative Gedanken können neu und positiver umformuliert werden. Zuvor belastende Erinnerungen werden nun als unproblematisch erlebt.
- EMDR ist schmerzlos. Es kann jedoch vorkommen, dass im Rahmen des EMDR-Coachings intensive Emotionen oder körperliche Empfindungen im Zusammenhang mit unverarbeiteten und belastenden Erinnerungen wahrgenommen werden; diese emotionalen Abreaktionen sind individuell verschieden und lassen sich weder in ihrem Ausmaß noch in ihrer Intensivität voraussagen. Das Coaching wird so lange fortgeführt, bis das Durchleben des zu bearbeitenden Erlebnisses mit allem, was daran verkettelt ist, beendet und der Coachee die vorher als belastend empfundene Erinnerung als nicht mehr belastend erlebt.
- Wir Menschen können nicht nur große Mengen an Wissen aktiv in uns speichern, sondern haben darüber hinaus auch einen großen Speicher an Gefühlen und Körperwahrnehmungen. Dieser Speicher wird in unserer Säuglings- und Kinderzeit angelegt, lange bevor wir bewusst denken können oder aktive Erinnerungen haben. Diese Seite in uns ist nur schwer zugänglich und selten bewusst – trotzdem haben gerade diese Emotionen und die dahinterstehenden Botschaften wesentliche Auswirkungen auf unser Leben. Durch EMDR schaffen wir es, in Kontakt mit unseren unbewusst gespeicherten negativen Glaubenssätzen zu kommen, die unser Leben so oft belasten.
Vorteile des EFT
- Durch das Beklopfen können negative Gefühle aufgelöst und die damit verbundenen körperlichen Beschwerden überwunden werden.
- EFT ist schmerzlos und wirkt entspannend. Zur Überwindung des negativen emotionalen Zustands ist ein erneutes Durchleben traumatisierender Ereignisse nicht erforderlich.
- Die Technik ist einfach und schnell erlernbar. Zudem ist es eine Methode, die – einmal erlernt und verinnerlicht – jeder Mensch [und das schließt bereits Kinder ab dem Grundschulalter ein] bei sich selbst anwenden kann.
- Eine EFT-Behandlung verläuft in der Regel recht schnell; binnen weniger Minuten lassen sich nachhaltige und dauerhaft wirkende positive Ergebnisse erzielen, finden Menschen zu ihrem natürlichen Selbstwert zurück.
- Während durch EFT negative Emotionen und Glaubenssätze aufgelöst werden können, werden positive verstärkt und gefestigt.
- Die Erfolgsquote von EFT liegt bei ca. 80 – 90%. Schädliche Nebenwirkungen sind bislang nicht bekannt.
- Ich liebe diese Methode vor allem deshalb, weil sie meine kleinen und großen Coachees in ihrer Selbstwirksamkeit stärkt. Denn auch wenn wir gemeinsam ein Thema bearbeiten, bestärke ich sie darin, diese Methode bei kleinen und großen Herausforderungen mit sich selbst anzuwenden.
Mein Fazit
Während durch EMDR also große emotionale Blockaden gelöst und verarbeitet werden können, geht es beim EFT um die Bereinigung einzelner spezifischer Emotionen – es geht um ein einzelnes Thema: die Sorge vor der Englischklausur, die Abi-Prüfung oder die Angst, ein Flugzeug zu besteigen. Ein was ist besser? lässt sich im Ergebnis mithin gar nicht so recht ausmachen. Der große Vorteil beim EFT liegt klar darin, dass es super schnell erlernbar und dann auch allein zu Hause oder jederzeit in der Schule anwendbar ist. So können selbst kurz vor der Klausur / Prüfung auftretende emotionale Belastungen kurzer Hand weggeklopft werden.
Beim EMDR hingegen geht es darum, Erinnerungen an frühere Erlebnisse im Gehirn so abzuspeichern, dass die emotionale Belastung, die damit verbunden ist, losgelassen und verarbeitet wird. Das „sprachlose Entsetzen“ verschwindet und was folgt, ist eine echte Wahl, die ich habe: ich vergesse das Erlebte natürlich nicht, doch kann ich nun darüber sprechen, wie über viele andere Erfahrungen aus meiner Vergangenheit auch. Es steht mir weiterhin frei, mich über die Situation aufzuregen oder mich zu ärgern – doch wenn ich es tue, dann, weil ich es will – und nicht, weil ich es aufgrund meiner seelischen Belastung „muss“. Ich kann die Vergangenheit – endlich – hinter mir lassen.
Anmerkung: In meiner Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen arbeite ich in keinem Fall therapeutisch. Bei vorliegenden Krankheitsbildern verweise ich Anfragen stets an entsprechend ausgebildete Therapeuten, Heilpraktiker und/oder Arzt.
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